John Nettles als Inspector Barnaby: Ein zufriedener Pensionär (2024)

In der englischen Grafschaft Midsomer sind in den letzten fünfzehn Jahren überdurchschnittlich viele Menschen gestorben. Nur wenige schieden aufgrund eines natürlichen Todes aus der Welt, die meisten wurden auf grausame Weise ermordet. Sogar die Queen soll sich schon erkundigt haben, ob in den zwischen grünen Hügeln eingebetteten Dörfern überhaupt noch jemand lebe.

Es gibt noch einige tapfere Gestalten, die den widrigen Umständen in Midsomer trotzen. Da ist zum Beispiel Inspector Tom Barnaby, der mit seinen Assistenten die mysteriösen Morde geflissentlich aufklärt. Im ZDF kann man „Detective Chief Inspector Barnaby“, wie er sich stets höflich vorstellt, seit Jahren bei seiner Arbeit zusehen; von Sonntag an wieder fünf Wochenenden nacheinander.

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Dabei hat der Mann, der den stets korrekt gekleideten Polizisten spielt, vor bald einem Jahr Abschied von Inspector Barnaby genommen. John Nettles hat ihn seit der ersten Folge im Jahr 1997 gemimt, den „stereotypen Engländer mit einer sehr, sehr steifen Oberlippe“, wie er sagt. Im vergangenen Frühjahr fand er es an der Zeit, Barnaby nach mehr als achtzig Folgen in Rente zu schicken - mit gemischten Gefühlen, wie er zugibt. „Ich vermisse es, jeden Tag rauszugehen und ihn mit meinem Team zu verbringen, das über die Jahre hinweg zu einer Familie geworden ist.“ Nettles hat viele Schauspieler kommen und gehen sehen; die meisten blieben nur kurz - sie spielten Opfer und Täter: Orlando Blooms Figur wurde etwa mit einer Mistgabel erstochen. Jane Wymark als Barnabys Frau Joyce ist eine der wenigen, die während dreizehn Staffeln an Nettles' Seite blieb und auch privat zu einer guten Freundin wurde.

Aber dennoch vermisst Nettles Barnaby nicht, den spröden Polizisten, den die Autorin Caroline Graham in den achtziger Jahren erfunden hatte: als dunkelhaarigen, großen Mann mit buschigen Augenbrauen - und mit hartnäckigen Verdauungsproblemen. Ein Attribut, das der Produzent Brian True-May in der Fernsehserie schnell verworfen hat. „Die Leute wollen keinen Polizeibeamten mit Verdauungsproblemen sehen, sonst fangen sie am Ende an, seine Effizienz anzuzweifeln“, sagt Nettles. So wurde Barnaby ein ruhiger, steter Charakter, der wenig spricht und dessen schärfste Waffe sein Verstand ist. Einer, der zwischen schrulligen Witwen und obskuren Priestern, die am Ende alle irgendwie verdächtig sind, den Durchblick und einen feinen Humor behält. „Ein stilles Zentrum der Vernunft in einer verrückten Welt“, sagt Nettles.

„Vielleicht ein bisschen mürrisch geworden“

Er hätte Barnaby gern mal eine Geliebte gegönnt. Aber das hätte gegen die Spielregeln verstoßen. „Vielleicht ein bisschen mürrisch ist er geworden“, sagt Nettles. Und beteuert, dass es keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen ihm und seiner Rolle gebe, dem kontrollierten und organisierten Barnaby, der so englisch sei, dass es weh tue. Einzig vielleicht, dass Nettles auch auf dem Land lebt, in der Nähe von Stratford-upon-Avon, mit seiner Frau, Hunden, Katzen, Hühnern, Alpakas und Pferden. Aber die Dörfer, die in Midsomer inszeniert werden, gibt es auch dort nicht mehr. Sie stammen aus der Zeit von Agatha Christie, als das Dorf Zentrum der Gesellschaft war. „Es gibt die Häuser und bestimmt auch die Psychopathen, aber keine Kirchen, kein Postamt, keine Läden mehr.“ Für Nettles ist das aber kein Grund, in der Stadt zu leben: Sie ist zu anonym, und es fehlt ihm die frische Luft.

Zeit für das gepflegte Landleben bleibt dem Siebenundsechzigjährigen nach seinem Rückzug von „Midsomer Murder“ kaum. Tom Barnaby ist in Rente; Nettles kehrte vom Set auf die Bühne zurück, wo er in die Rolle des Claudius im „Hamlet“ schlüpfte. „Das Wundervolle am Theater ist, dass die großen Rollen in der Regel für Ältere gemacht sind. Wenn Bankmanager in Rente gehen, stehen Bühnenschauspieler vor den großen Rollen ihrer Karriere.“

„Fernsehen ist ein langweiliges Medium“

Bevor Nettles Fernsehermittler wurde - vor Barnaby spielte er zehn Jahre lang einen jungen Sergeanten namens „Bergerac“ -, war er Mitglied der Shakespeare Company. Er habe die Zeit auf der Bühne wahnsinnig vermisst, sagt er. „Fernsehen ist im Vergleich zum Theater ein langweiliges Medium. Auf der Bühne spielt man ein Stück von A bis Z, während man im Fernsehen oft mit der Schlussszene beginnt und man so tun muss, als hätte man alles verstanden.“ Er hat allerdings schon feststellen müssen, dass ihm die Flucht von den „killing fields“, wie er Midsomer gern nennt, nicht ganz gelungen ist: Auch in „Hamlet“ wird schließlich gemordet.

Ohne die vielen Toten, und zwar gleich mehrere pro Folge, wäre „Midsomer Murders“ nicht das, wofür sich in England zeitweise dreizehn Millionen Zuschauer begeisterten. Gemeuchelt wird in den Dörfern von Midsomer nach allen Regeln der Kunst: Opfer werden mit Magnum-Weinflaschen erschlagen, von einem gedopten Pferd zu Tode getrampelt oder in einem Topf Tomatensuppe ertränkt. Zu Nettles' persönlichen Favoriten zählt der Mord mit der Hutnadel, die einem Opfer durch den Gehörgang geschoben wurde: „Lovely!“

Privat schaut er lieber „CSI“

Dass er auf den Bildschirm zurückkehrt, schließt er nicht aus. Noch weniger Produzent True-May, der zwar an den Erfolg der Serie auch nach Nettles glaubt, aber verrät, dass er ihn gern für andere Projekte verpflichten würde. Strenggenommen ist Nettles, der vor seiner Karriere als Schauspieler Geschichte und Philosophie studiert hatte, schon zurück auf dem Bildschirm: als Produzent und Moderator von drei Dokumentationen über die Kanalinseln unter deutscher Besetzung. Davon plant er weitere. „Es ist spannender, mit echten Menschen zu tun zu haben als mit Schauspielern, die nur so tun, als hätten sie ein Schicksal erlitten“, sagt er.

An Barnaby vorbei kommt Nettles, der privat lieber „moderne“ Krimi-Serien wie „CSI“ schaut, allerdings nicht: Kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Sender Folgen von „Midsomer Murders“ zeigt oder er auf der Straße mit „Inspector Barnaby“ angesprochen wird. „Midsomer Murders“ ist fast auf der ganzen Welt zu sehen. Auch das ZDF hat sich nach anfänglicher Skepsis eingeklinkt - und mit ihm drei bis vier Millionen Zuschauer, die Barnaby sonntags verfolgen. Nach anfänglichem „Rosinenpicken“ - man sendete drei Folgen und hielt sich, zum Ärger der Serienfans, auch danach nicht an die Chronologie - will der Sender dem Publikum keine Folge mehr vorenthalten.

Von Ende März an ermittelt in England ein anderer Barnaby - Neil Dudgeon als Toms Cousin John Nettles wird mit seiner Frau Sarah und Hund Sykes nach Midsomer ziehen. Für das deutsche Publikum ermittelt noch bis mindestens Ende 2012 Tom, der echte, Barnaby. Und vielleicht wird John Nettles auch danach ein Gastspiel geben. Laut True-May sind nämlich zwei Versionen der letzten Folge mit ihm gedreht worden. In der einen feiert Barnaby „bloß“ Geburtstag.

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